Saga der Wiederkehr - Leseprobe

Irland, 1733
Und wieder stand er hier, auf den Klippen von Sliabh Liag, blickte hinaus auf den stürmischen Atlantik und hinab auf die schroffen Felsen, an denen sich in fast zweitausend Fuß Tiefe tosend die Wellen brachen.
Wieder stand er hier -  aus dem gleichen Grund wie schon beim ersten Mal vor einundvierzig Jahren – mit einer nagenden Leere in der Seele und einem gebrochenen Herzen - und dem gleichen Ziel: Seinem Leben ein Ende zu setzen.
›Ob es wieder geschehen wird?‹ fragte er sich und schloss die Augen. Damals war er erst dreiundzwanzig Jahre alt, hatte jedoch schon die Hölle durchlebt und sich dann in seiner Verzweiflung und seinem Schmerz von den Klippen geworfen. Jetzt war er zweiundvierzig Jahre alt -  und man schrieb das Jahr 1733…
Was genau geschehen war oder warum, wusste er nicht. Alles, was er wusste war, dass er damals zu Tode kam nach seinem Sprung in die Tiefe, er aber mit dem gleichen Bewusstsein und dem gleichen Wissen im Jahr 1696 irgendwo bei Aughera mit letzter Kraft aus dem River Glen geklettert war – wieder ein Kind, gerade einmal fünf Jahre alt… Genau das hatte er versucht Orlagh klar zu machen. Sie musste sich doch genau wie er an ihre gemeinsame Zeit damals in Teileann erinnern, sie war doch seine Deborah – nur wiedergeboren in einem anderen Körper, mit einem anderen Namen. Aber Orlagh hielt ihn für schwachsinnig und hatte ihn nur ausgelacht.
Er selbst empfand es als ein Wunder, als er nach vielen Jahren, die er zu See gefahren war, beschloss, sesshaft zu werden und dann auf diese junge Frau traf, in der er seine große Liebe wieder erkannte. Er hatte wieder den seltsamen Geschmack von Salz und Eisen auf seiner Zunge, wie damals als er Deborah zum ersten Mal sah, doch stieß seine Liebe dieses Mal auf taube Ohren. Dennoch stellte er dem Mädchen nach – mit gebührlichem und respektvollem Abstand.
Was tat er nicht alles, um ihr Interesse an ihm zu wecken, um ihr zu gefallen und ihr Herz zu gewinnen, doch alles, was er von ihr bekam, war Spott, Ablehnung und im besten Falle eine kräftige Ohrfeige. Er ließ erst in seinem Bestreben nach, um diese Frau zu werben, als sie mit einem anderen vor den Altar trat – und selbst in diesem Moment hoffte er noch immer. Und jetzt, sechs Jahre nachdem sie sich kennen gelernt hatten, war auch sie tot. Gestorben im Kindbett – fast genauso wie damals Deborah, seine geliebte Frau…
Zum zweiten Mal war er nicht in der Lage den Verlust zu verarbeiten, war er doch schon immer ein Einzelgänger gewesen und beschränkte seine Aufmerksamkeit lediglich auf die Menschen, die ihm am nächsten standen – seine Mutter, Deborah... Orlagh... und nun hatte er wieder niemanden mehr, für den es sich lohnte am Leben zu bleiben.


Er spürte den kalten Luftstrom, der seinen fallenden Körper einhüllte… und als er auf dem Wasser aufschlug, war es, als trennte sich sein Geist mit einem Ruck vom zerschmetterten Körper. Doch sein Leben zog – genau wie bei seinem ersten Sprung von den Klippen - nicht in Sekunden an ihm vorbei und genauso wenig gab es ein helles Licht, auf das er hätte zugehen können. Auch nahmen ihn keine Verwandten an der Schwelle zum Jenseits in Empfang, wie man es oft von Menschen erzählt bekam, die dem Tode nahe gewesen, dann aber ins Leben zurückgekehrt waren. Um ihn herum herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Allein seine Gedanken und seine Erinnerungen waren noch da, doch auch sie schwanden langsam und mit ihnen der quälende Schmerz...


Plötzlich riss die ihn umgebende Schwärze ab und er glaubte, sein Kopf würde explodieren - füllte er sich doch schlagartig mit dem Wissen, den Erfahrungen und den Emotionen von rund sechzig Jahren Leben.
Als er die Augen aufschlug, befand er sich in einem reißenden Fluss – nackt und klein, ein Kind wieder, und er kämpfte intuitiv um sein Leben, versuchte mit aller Kraft das rettende Ufer zu erreichen, wo er sich dann völlig erschöpft an einem Strauch festklammerte und seinen mageren, winzigen Körper mit letzter Anstrengung auf festen Boden zog. Aus dem Augenwinkel heraus sah er noch, wie das grünliche Licht, das über dem Wasser lag, schnell schwächer wurde und dann ganz verschwand. Er hustete und keuchte, während all seine Muskeln brannten von den Strapazen der Wiederkehr.
›Ich bin nicht in Irland…‹ durchfuhr es seinen Verstand, und obwohl es Nacht war, er seine Umgebung nicht wirklich sehen und erkennen konnte wusste er, dass es eine Tatsache war. ›… und ich bin sieben Jahre alt… mein Name ist Steve Morgan und ich habe bereits zwei Leben gelebt… ich erinnere mich an alles, aber ich darf mit keiner Menschenseele jemals darüber reden…‹
Er fror entsetzlich, zitterte am ganzen Körper und weinte leise, während er die Gewissheit akzeptierte. Es ist also wieder geschehen…

 

 

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